Lindenpark Babelsberg, draußen Nieselregen, drinnen steigt die Spannung: Designer Hans-Jürgen Deponte hat es wahr gemacht: Der Saal ist Tonstudio, Wohnzimmer, Eckkneipe, Laufsteg, Rumpelkammer. Die Bühne steht voller Instrumente: Ein mannshoher Gong – aus dem Filmklassiker „Der Tiger von Eschnapur“- dominiert den hinteren Teil der Bühne, links und rechts davon warten zwei Schlagzeuge auf synchronen Trommelschlag. Marshall, Vox, Fender, Mesa Boogie: Am Fuße des Podestes glimmen die Röhren von sechs Gitarrenverstärkern, linkerhand ein Keyboard-Stapel, rechts zwei Bassverstärker-Anlagen, Mikrofone, Scheinwerfer, Kabel, ein Laufsteg führt direkt mitten unter die Zuschauer, dort rekelt sich eine nackte Schöne mit prallen Brüsten auf einem Tisch. In welchem Film hat die hingehauchte Figur wohl eine stumme Rolle gespielt?
Der Saal füllt sich, auf dem Willkommensdrink-Becher steht, worum es am 1. September 2007 geht: Die Potsdamer Rock ’n‘ Roll-Band „Steinschlag“ feiert sich und die vergangenen zwei Jahrzehnte Bühnengeschichte. Eingeladen sind alle, die einmal dabei waren, und sie werden Spaß haben: Die Gitarristen Henryk „Henne“ Körbs, Helmut „Keule“ Kreuchwig und Martin Thiel, Gastschlagzeuger Fabian Einicke, Trompeter und Orchester- sowie Jazzband-Chef Arnold Hänsch und auch River-Blues-Band-Bassist Peter Gläser.
Pausen gibt es an den Abend keine: Nach Fanfare of the Common Man und zwei sexy Nummerngirls, die die Jahre bis 1987 rückwärts abspulen, tappt eine Gestalt in Jeansanzug, Kletterschuhen und Shell-Parka auf die Bühne, schiebt die Nickelbrille das Nasenbein hinauf, kramt umständlich in den Taschen, findet eine Mundharmonika und greift mit den Knien wippend den Beat von Schlagzeuger Thomas Warneke auf. Sänger Detlef „Gote“ Gottschling wirft die Kutte in die Ecke, schreitet den Laufsteg entlang im Spotlight in den Saal: „Love is love – but not fade away!“ Sechs Stücke peitscht die Band ins Publikum, der Druck aus den Boxen ist erheblich. Don’t Stop, Get Off Of My Cloud, Satisfaction, It’s Only Rock ’n‘ Roll, Waiting on a friend.
Pause? Nein! Thomas „TW“ Warneke bleibt am Schlagzeug und spielt einfach weiter; da nimmt ein weiterer Trommler an dem zweiten Set Platz, übernimmt und begeistert die Zuhörer fast eine Viertelstunde lang. Fabian Einicke – der Neffe des Steinschlag-Gitarristen Michael Kunczak. Da ist die Band zurück: Start Me Up, Honky Tonk Women – die Bläser Sebastian Pietsch und Arnold Hänsch geben alles – Had It With You, Star Star, Midnight Rambler und Play With Fire. Das Publikum hält es nicht mehr an den Tischen: Rund um den Laufsteg drängen sich die Tanzenden.
Konzert-Impresario Andreas Klisch erzählt launige Begebenheiten, stellt die Musiker vor, lobt Künstler Deponte und holt die Gast-Musiker-Gäste auf die Bühne. Das ist das Zeichen: Michael Kunczak tritt den Gitarren-Overdrive und reißt vier Töne an. Immer dieselben. Little Red Rooster. Michael „Schuppi“ Schupke zieht den Bottleneck über die Saiten. Nun stehen sechs Gitarristen, zwei Bassisten, zwei Trommler und die Brass-Section auf der Bühne auf der Suche nach dem kleinen roten Hahn. Übrig bleiben endlich Henne, Keule, Martin, Fabian und Peter. Die Gäste spielen The Last Time, It’s All Over Now, Ruby Tuesday und schließlich Love In Vain.
„Freunde aus den USA“ kündigt Moderator und Ex-Steinschlag-Booker Klisch an. Die River Blues Band – ein Projekt von vier Steinschlägern, dass jährlich bis zu fünfzehn Konzerte absolviert. Mit Hut und Brille: Gote, Schuppi, Meiköll, TW und „Peter Glasses“ spielen Klassiker wie The Spider And The Fly, Poor House, Route 66 und Call Me The Breeze.
Keine Atempause – Rockgeschichte wird gemacht: TW bleibt am Set, rote Scheinwerfer, Nebel, ein Stuhl auf dem Catwalk. Das ist das Zeichen für Backstage-Managerin Sabine Schroedter: Zwei sexy-lacklederne Teufelinnen beginnen den „sympathischen“ Tanz für den Herrn der Unterwelt. Sympathy For The Devil. Die Band nimmt den Rhythmus auf, Gote tänzelt in schwarzer Lederhose, Gehrock, weißem Hemd, schwarzer Krawatte und Zylinder auf die Bühne und lässt sich von den Mädchen zu einem wilden Reigen verführen. Bei Jumping Jack Flash wird der Zylinder überflüssig, bei Under My Thumb der Gehrock, die Krawatte fliegt bei Brown Sugar auf die Bühne, mit Wild Horses leuchtet zwischen den geöffneten Hemdknöpfen die Stones-Zunge auf dem Shirt durch. Welches Kleidungsstück fällt als nächstes? Sad Sad Sad – traurig – ist die letzte Nummer. Verabschiedung, gemeinsame Verbeugung, Abgang.
Fordernde Rufe holen Andreas Klisch und „seine“ Band zurück aus dem Dunkel: Die Zugabe-Session beginnt mit The Salt Of The Earth – Gimme Shelter ist das zweite Stück. Dann: Also sprach Zarathustra, grelles Licht, ein Knall, silberne Konfetti aus zwei Kanonen, Vorhang zu, aus.
Techniker André Gottschling zieht die Regler runter – Ellen von den Jakuzzi-Sisters schiebt die Regler hoch, und der Tanz geht ohne Pause weiter …
Epilog: Gegen zwei Uhr betritt ein Mann mit Basecap den Backstage-Bereich. Friedemann „Frieda“ Schulz – drei Jahre Schlagzeuger bei Engerling und bei Steinschlag – hat es mit dem Taxi doch noch aus Luckenwalde nach Potsdam geschafft. Auf ein Bier, oder zwei, oder drei, oder …
(DG)
(Fotos: Thanks a very lot to our friends Andreas Klaer and Frank Mothes)
Hier die fotos von klisch auf flickr
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